Schulpflicht

Da ich immer wieder angesprochen und gefragt werde, wie unsere Reise mit der Schulpflicht in Deutschland zu vereinen ist, schiebe ich heute mal einen Artikel zu dem Thema dazwischen.

Wie allen Deutschen bekannt ist, leben wir in einem der wenigen Länder, in denen alle Kinder in die Schule gehen müssen. Und damit ist grundsätzlich die Anwesenheit in einem Schulgebäude gemeint. In den meisten anderen Ländern gibt es das Recht auf Bildung und häufig auch die Bildungspflicht, doch eben selten die Pflicht eine offizielle Schule zu besuchen.

Schulbildung ist in Deutschland Ländersache und somit gibt es da auch Unterschiede.

Meine Aussagen beziehen sich daher auf NRW, wo wir leben, aber soweit ich weiß, ist die Situation in den anderen Bundesländern vergleichbar.
Grundsätzlich darf ein Schulleiter (der Einfachheit halber bleibe ich bei der männlichen Form 😉 ) ein Kind für bis zu einem Jahr selbstständig beurlauben. Dies darf allerdings nur bei besonderen und wichtigen Gründen geschehen. Hierunter fallen beispielsweise Erkrankungen, beruflicher Auslandsaufenthalt der Eltern…
Wenn die Schulleiter bei der nächst höheren Ebene nachfragen, werden sie zur Antwort bekommen, dass Reisen kein wichtiger Grund sei.
Glücklicherweise liegt die Entscheidung jedoch beim jeweiligen Schulleiter und fragen muss er nicht…

Unser Weg

Unsere Anträge bestanden jeweils aus 7-8 Seiten Votum für das Reisen und einer Aufstellung dessen, was die Kinder beim Reisen an Bord automatisch in schulischem Sinne lernen werden. Dies sollte auch zeigen, dass wir uns intensiv mit dem Schulstoff der jeweiligen Jahrgänge auseinandergesetzt hatten.
Wir wollten den kommunikativen Weg gehen und mit den Schulen zusammenarbeiten. Das sollte es uns, den Kindern und den Schulen einfacher machen…

Unsere Kinder würden aktuell das vierte und das sechste Schuljahr besuchen.

Grundschule

Obwohl im vierten Schuljahr entschieden wird, welche Schulform (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) geeignet ist, stellte dies bei uns kein Problem dar. Ich denke, dass dies durch drei Gründe begünstigt wurde.
1. Die Schule kennt uns seit knapp sechs Jahren und weiß, dass wir engagierte Eltern sind und auch schulisch mitarbeiten.
2. Ich bin ausgebildete Lehrerin (für die Grundschule und Sonderpädagogik).
3. Unsere Tochter schlug von Anfang an den Weg für eine bestimmte Schulform ein. Es war eindeutig, dass sich dies nicht ändern würde.
Wir schreiben also die Tests und Arbeiten während wir unterwegs sind. Und ich muss sagen, dass wir häufig warten müssen. Und das, obwohl wir im Sommer nur unregelmäßig „Schule“ gemacht haben…

(*** Nachtrag: Jetzt, zur Zeit des Halbjahreszeugnisses, musste die Schulleitung feststellen, dass sie kein Zeugnis und auch keine Empfehlung ausstellen dürfen! Das war ein Schock! Glücklicherweise konnte der sich schnell legen, weil die Grundschule und die Weiterführende Schule gemeinsam einen Weg gefunden haben. Wir bekamen eine Stellungnahme der Grundschule mit Prognose. Morgen wird unsere Tochter offiziell angemeldet, wobei wir bereits die mündliche Zusage der Aufnahme haben.***)

Gymnasium – Teil 1

Bei unserem Sohn war alles schwieriger. Als typischer Junge ist er lebhaft und brauchte Zeit, sich in der neuen Schule (Klasse 5) anzupassen. Wir bekamen letztlich die Beurlaubung, aber mit der Bedingung, dass er das verpasste Schuljahr anschließend machen soll. Auch hier sehe ich mehrere Gründe, die zu dieser Entscheidung führten.
1. Die Schule kennt uns noch nicht lange und unser Sohn war nicht an der Leistungsspitze.
2. Ich bin „nur“ Grundschullehrerin mit Erfahrungen an der Hauptschule. Das ist für ein Gymnasium wahrscheinlich nicht ausreichend…
3. Mit Übergang von der 6. in die 7. Klasse wird einem Kind bestätigt, dass es an der richtigen Schulform ist. Dies soll in der 5. und 6. Klasse quasi überprüft werden. Der Schulleiter sagte, es handele sich bei der Versetzung in die 7. Klasse um einen ersten „Abschluss“…
Wir haben uns Anfang des Jahres 2019 auf diesen „Deal“ eingelassen, weil wir den offenen und kommunikativen Weg hatten gehen wollen.
ABER: Wenn man ein ganzes Jahr keine schulischen Aktivitäten mit einem Kind unternimmt, dann wird es anschließend wohl kaum den Anschluss (an einem Gymnasium) schaffen. Und den bereits gelernten Stoff aus Klasse 5 erneut zu lernen bietet keinerlei Motivation.
Wir hatten uns daher entschieden, in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch die Inhalte der 6. Klasse zu bearbeiten. Nach einer Weile stellten wir auch hier fest, dass wir inhaltlich kaum hinter den Klassen in Deutschland hinterher hängen. Leider fehlt hier die Kooperation mit einer Schule, so dass wir auf Feedback von Freunden angewiesen sind.

Konsequenz

Nach unseren Erfahrungen des Lernens unterwegs und einem Telefonat mit der Bezirksregierung sowie der Erinnerung an andere Blauwasserfamilien, zogen wir im September die Konsequenz.

Wir haben unsere Kinder aus Deutschland abgemeldet, um sie von der Schulpflicht zu entbinden.
Bei dem Telefonat mit einer Dame von der Bezirksregierung hatte ich heraushören können, dass nur die Abmeldung und die tatsächliche Abwesenheit dazu führen würden, dass die Schulpflicht nicht mehr greift. Und nur dann habe ein Schulleiter die Möglichkeit, einen Schüler individuell zu überprüfen und einem Jahrgang zuzuweisen. Nun, dass es auch anders geht, habe ich in vielen Gesprächen mit anderen Familien gehört, aber das ist die Entscheidungsfreiheit jedes einzelnen Schulleiters.

Gymnasium – Teil 2

Unser Sohn wird nicht an seine alte Schule zurückkehren. Der Schulleiter war in unseren Gesprächen ganz deutlich mit seiner Aussage, dass eine Versetzung für ihn nicht in Frage kommt. Hinzu kommt jedoch, dass die Mitschüler unseres Sohnes nicht verstanden haben, warum er die Klasse verlässt und ihm das Gefühl vermittelt, er habe versagt. Sie meinten, er würde sitzenbleiben…
Da er keine Lust hat das Auszuhalten, will er die Schule wechseln. Wir haben seit letztem Sommer auch Kontakt mit einem anderen Gymnasium, das unserer Situation offener gegenüber steht.

*** Inzwischen wurde entscheiden, dass unser Sohn in der 7. Klasse starten wird. Er hat drei Monate Probezeit, um dann durch eine Klassenkonferenz die Erprobungsstufe nachträglich anerkannt zu bekommen. Sollte das nicht klappen, würde er in die Klasse 6 zurückgehen müssen. Aber wir sind sicher, dass er es fachlich schaffen wird. Fingers crossed! ***

Pädagogische Perspektive des Reisens und der Schulpflicht in Deutschland – persönliche Meinung

Unsere Entscheidung mit den Kindern auf Reisen zu gehen, war absolut richtig.
Diese Einschätzung basiert auf der Beobachtung verschiedener Ebenen. Natürlich spielt die Schule eine Rolle. Aber auch das Lernen an sich, das alternative (selbstbestimmte) Leben und die vielen sozialen Komponenten sind mindestens genau so wichtig.

Soziale Komponenten

Wir wurden oft gefragt, ob wir es überhaupt so lange auf engem Raum miteinander aushalten würden. Von Anfang an wussten wir, dass das klappen würde, da wir uns als Familie schon immer nahe standen. Aber das Miteinander in der Familie hat sich dennoch durch unsere Reise verändert. Natürlich gab es immer mal wieder auch Konflikte, aber wir sind insgesamt noch mehr zusammengewachsen. Die Kinder haben einerseits mehr Verantwortung übernommen, sind selbstständiger geworden und mussten oft auch mal zurückstecken, wenn wir beispielsweise tagelang damit beschäftigt waren, einen Kühlschrank auszutauschen. Andererseits haben sie aber auch mehr qualitative Zeit mit uns als Eltern und untereinander als Geschwister erlebt. Die gemeinsamen Erlebnisse werden für immer bleiben.

Weitere soziale Gefüge haben sich ebenfalls gefühlt verändert. Die Kinder (und auch wir) mussten damit klar kommen, dass liebe Freunde und Familie weit weg waren, dass wir nicht für sie dasein konnten, wenn es ihnen schlecht ging oder wenn z.B. ein Baby laufen lernte. Das war nicht immer einfach, aber ein Besuch nach 4 Monaten hat gezeigt, dass sich eigentlich nichts verändert hat. Die alten Freunde sind immer noch Freunde und auch sonst hatten wir das Wesentliche in der Ferne miterlebt…

Soziales Miteinander

Ein Pluspunkt für die Schulpflicht ist für manche das soziale Miteinander, in dem die Kinder reifen und wachsen können. Auch wenn unsere Kinder wenig Konflikte mit anderen Kindern hatten, empfinde ich Schule nicht unbedingt als förderlich, was die soziale Entwicklung unserer Kinder angeht. Auf Reisen müssen wir aber auch immer wieder mit anderen Menschen verschiedenster Nationen Kontakt knüpfen. Und die Auswahl an Spielkameraden ist oft begrenzt.

Aussage unseres Sohnes Ende Oktober:

In Deutschland habe ich eine feste Gruppe von Kindern, in der ich einige wenige Freunde habe. Unterwegs treffen wir oft keine anderen Kinder und wenn, dann kann ich sie mir nicht aussuchen. Sie sind einfach da. Dafür habe ich aber immer wieder die Möglichkeit NEUE Freunde zu finden. Die Auswahl ist insgesamt größer. In Deutschland ist das sehr begrenzt.

Hier finde ich, zeigt und schult sich das Sozialverhalten enorm. Wir haben unsere Kinder angehalten möglichst schnell Kontakte zu knüpfen, da unterwegs nie klar ist, wie lange ein Spielkamerad verfügbar ist. So haben wir inzwischen Kontakte zu Familien aus Großbritannien, Neuseeland, USA, Schweden, Südafrika, Belgien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Norwegen, Dänemark, Argentinien und Kanada. (Vermutlich habe ich irgendwelche Länder noch vergessen.) Die Kinder waren nicht immer auf genau der gleichen Wellenlänge und manchmal hat es etwas gedauert, bis sie ins Spiel kamen. Es gab auch mal kleine Auseinandersetzungen, aber es war immer für alle bereichernd. Und viele Freundschaften bestehen auch jetzt über in der Ferne weiter. Dank der „neuen Medien“ können die Kinder sowohl mit alten Freunden in Deutschland als auch mit neuen Freunden auf der ganzen Welt in Kontakt bleiben.

Sprache

Bei den neuen Kontakten kommt dann auch die sprachliche Komponente in Spiel. Unsere Kinder konnten bereits gut Englisch, aber sie haben in den letzten Monaten enorme Fortschritte gemacht. Filme werden nun freiwillig auf Englisch geschaut. Ein paar Einblicke in Spanisch haben sie gewonnen und wie man sich mit anderen Kindern notfalls auch mit Händen und Füßen verständigt. An uns konnten sie ebenfalls erleben, wie wir unsere Sprachkenntnisse versucht haben zu verbessern und wie wir unbekannte Wörter nachgeschlagen haben. Ich denke, dass ihnen dies auch zeigt, wie lebenslanges Lernen geht. (Wobei dies in vielen Bereichen sichtbar ist, da wir vorher wenig Ahnung vom Segeln hatten, alle Arbeiten am Boot neu waren, wir keine Ahnung von Kühlschränken hatten usw. Ich habe in den letzten Monaten extrem viel gelernt!)

Persönliche Komponenten – selbstbestimmtes Leben

Auf der Reise fiel uns nach und nach auf, wie sehr wir uns im Alltag eingezwängt hatten. Ich würde uns nicht als Helikoptereltern bezeichnen, aber auch unsere Kinder mussten in der Schule funktionieren und nachmittags sportlichen und/oder kreativen Aktivitäten nachgehen.
Ständig mussten die beiden irgendwo hin. Oft, vor allem am Anfang, hatten sie Spaß daran, doch schon bald wurde alles zur lästigen Pflicht. Ich selbst fühlte mich von der Gesellschaft gedrängt, darauf zu pochen, dass sie die begonnenen Kurse oder anderen Aktivitäten fortführten. Erst im letzten oder letzten halben Jahr vor unserer Reise hat sich dies gewandelt. Die Kinder durften komplett selbst entscheiden, ob sie hin wollten oder nicht. Das war hilfreich für uns alle, aber gestresst waren wir dennoch…

Auf der Reise

Seit wir unterwegs sind, haben sich unsere gestressten und teilweise traurigen Kinder wieder in die fröhlichen und lebendigen Kinder verwandelt, die sie eigentlich sind. Sie machen ihr eigenes Ding. Sie gehen auf Entdeckungstouren, sind körperlich aktiv, finden aber auch Ruhe und Genuss zusammen zu spielen (kreativ oder mit Gesellschaftsspielen; alleine, zu zweit, mit anderen Kindern oder mit uns). Gleichzeitig haben sie endlich die Muse zum Lesen. Im Alltag mit Schule hatten sie dazu selten Zeit.

Wir haben unseren Tagesrhythmus unserem eigenen Rhythmus angepasst. Tendenziell gehen wir (zu) spät ins Bett und stehen dafür auch später auf. Den Luxus hat man nicht mit Schule und Arbeit. 😉

Schulische Komponente

Unsere Kinder mögen Schule seit ihren ersten Wochen in der ersten Klasse nicht. Und daran hat sich auch nichts geändert. Wenn wir „Homeschooling“ mit den Schulsachen machen, ist es oft schwierig. Meistens macht einer von beiden Zicken und wir kommen nur langsam voran. Interessanterweise hängen wir trotzdem nicht hinterher. 🙂
Die Eins-zu-zwei-Betreuung ist hilfreich, aber hindert teilweise auch. Was ich leider feststellen musste, ist, dass die Kinder scheinbar nie wirklich gelernt haben, selbstständig zu arbeiten bzw. sich etwas zu erarbeiten. Das hat mich anfangs sehr frustriert, da ich anderes erwartet hatte.
Nach und nach wird es allerdings besser und ich hoffe, dass sie bis zum Sommer relativ  selbstständige Lerner geworden sind.

Strategien

Dazu nutzen wir alternative Strategien. Teilweise haben solche Strategien in der Schule Einzug gefunden, aber sie werden dort immer noch selten genutzt.
Schon vor unserer Reise war ich fasziniert von Vera F. Birkenbihl. Viele Videos von ihr sind auf youtube zu finden. Ich habe mir bereits einige angeschaut und bin gespannt auf mehr.
Seit kurzem versuche ich einige ihrer Strategien (wo man nicht merkt, dass man lernt und assoziativ arbeitet) auszuprobieren. So haben wir beispielsweise ein Quallen-Projekt gemacht, bei dem die Kinder auf unterschiedliche Art selbstständig recherchiert haben. Ich möchte behaupten, dass unsere Kinder nun mehr über Quallen wissen als alle Leser dieses Blogs. 🙂
(Solltest du Interesse an unserem Vorgehen haben, dann schick doch bitte einen Kommentar oder lass es mich sonst wie wissen. Dann schreibe ich dazu noch mal einen extra Artikel…)

Außerdem nutzen wir viel das Internet. Interessante Seiten zum selbstständigen Lernen sind:

  • phase6 – zum Vokabeln lernen
  • Khan Academy – vor allem für Mathematik
  • Scoyo – Grundschule: zum vertieften Üben, weiterführenden Schule: auch zum selbstständigen Lernen
Projekte statt Schulbücher

Inzwischen organisieren wir alle naturwissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen und  sonstigen Fachinhalte als Projekt. Zuerst wird vorhandenes Wissen aktiviert, dann formulieren die Kinder Fragen, die sie zum Thema interessieren und schließlich recherchieren sie selbstständig die Antworten. Dazu werden Sachbücher, Dokumentationen und das Internet genutzt. Außerdem sollen sie mit möglichst vielen Menschen über ihr Projektthema sprechen. So wird ihr Wissen gefestigt und neues gewonnen…

Schulpflicht

Zum Thema Schulpflicht habe ich eine klare Meinung:

Kinder haben ein Recht auf Bildung, aber auch auf Selbstbestimmung.

+++

Solltest du Interesse an weiteren Informationen haben, sei es zu unserer Vorgehensweise beim Homeschooling oder zu unserem Antrag bei den Schulen, dann melde dich bei mir durch einen Kommentar oder eine Nachricht.
(Hinweis: Ich muss die Kommentare freischalten und wenn du das nicht möchtest, sag es einfach…)

Demnächst folgen auch wieder neue Artikel zu unserer Reise…

+++

17. Februar 2020

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3 Gedanken zu „Schulpflicht

  1. Liebe Kathrin, es list sich so, als ob Deine Beiden einen deutlichen Mehrwert in diesem Lebens-Lehrjahr bekommen haben. Sich selbständig etwas zu erarbeiten ist ein hohes Gut. Ich glaube, es war wirklich eine sehr gute Entscheidung segeln zu gehen….

  2. Danke für deiner Schilderung! (Es zeigt einen möglichen Weg auf!) Ein paar Jahre habe ich noch Zeit, bevor es bei mir „akut“ wird…. Ich behalte dich im Hinterkopf! Danke für deine Arbeit!

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